Anna Werner ist eine geborene Brückenbauerin, eine Grenzgängerin, eine
Seiltänzerin zwischen Morgen- und Abendland, zwischen Mittelasien und
Mitteleuropa, aber auch zwischen Kunst und Natur, zwischen
wissenschaftlicher Erkenntnis und spontaner Eingebung , zwischen
realistischer und abstrakter Malerei.
Geboren wurde die Künstlerin – man
glaubt es kaum, wenn man ihren urdeutsch klingenden Namen hört – 1980
im ferner Kirgisien, im kleinen Ort Kant nahe der Hauptstadt Bischkek.
Sie wurde hineingeboren in eine streng-gläubige deutschstämmige Familie,
deren Vorfahren vor mehr als zweihundert Jahren unter Katharina der
Großen in den Süden Russland ausgewandert und später nicht zuletzt aus
Furcht vor Verfolgung weiter bis nach Mittelasien gezogen sind.
Dort hat
sie ihre Kindheit verbracht – in enger Nachbarschaft zu den kirgisischen,
kasachischen und russischen Dorfbewohnern.
Als Kind verliebte sich
Anna Werner in die hohen Berge des Tien Shan, in die rauschenden
Gebirgsbäche und –flüsse und die tiefgrünen Täler Kirgisiens, denen der
größte Dichter Kirgistans, Tschingis Aitmatow, in seinen Erzählungen und
Romanen ein bleibenden Denkmal gesetzt hat.
Anna Werner nahm diese Liebe mit, als sie 1988 mit ihrer Familie nach
Deutschland, in das Land ihrer Vorfahren, zurückkehrte. Deutschland war
für sie zunächst eine fremde Welt. Im gleichen Jahr kam auf tragische
Weise durch ein Unfall, ihr zwei Jahre jüngerer Bruder ums Leben. Um
den Verlust des Bruders und der Heimat zu verarbeiten und ihren
Gefühlen freie Bahn zu lassen, begann sie schon damals zu malen und
zu schreiben.
Aber bis zu ihrer künstlerischen Berufung war es noch ein
langer Weg. Anna Werner ist keine geborene Künstlerin, sondern eine erst
auf einem langen Erkenntnisweg in die Kunst hineingewachsene Malerin.
Sie wuchs in Ulm auf und besuchte dort zunächst die Grundschule, dann
die Albert-Einstein-Realschule und schließlich das Abendgymnasium, das
sie mit der Fachhochschulreife abschloss. Sie leistete ein „Freiwilliges
Soziales Jahr“ in einem Reha-Krankenhaus und wurde dann im
Bundeswehrkrankenhaus in Ulm zur Krankenschwester ausgebildet.
Aber der Erkenntnis- und Forscherdrang trieb Anna Werner weiter. Sie
stürzte sich in die Wissenschaft und studierte von 2014 bis 2018 an der
Hochschule Anhalt in Bernburg in Sachsen-Anhalt Naturschutz und
Landschaftsplanung.
Sie arbeitete während des Studiums als
wissenschaftliche Hilfskraft an der Hochschulbibliothek in Bernburg, war
an verschiedenen wissenschaftlichen Projekten zum Umwelt- und
Naturschutz beteiligt und hat den Bachelor of Science abgeschlossen und
den Master in der Halbzeit beendet.
Von 2018 bis 2020 war sie am
Landratsamt im bayerischen Kreis Straubing als Fachreferentin für
Naturschutz und Landschaftspflege angestellt.
Zugleich übernahm die
nimmermüde Ökologin verschiedene ehrenamtliche Aufgaben. Sie half,
das Waldgebiet um Ulm, Wiblingen und Böflingen vom Müll zu reinigen,
war an der floristischen Kartierung im Raum Ulm beteiligt und arbeitete mit
dem Staatlichen Museum für Natur-kunde in Stuttgart zusammen.
Doch trotz aller Einsatz- und Opferbereitschaft: alle diese kraft- und
zeitraubenden Aktivitäten waren für Anna Wener nur Zwischenstationen
auf dem Weg zu ihrer Berufung als Künstlerin. Neben ihrem Studium und
ihrem Beruf hat sie bei jeder Gelegenheit und sei es nachts ihren Pinsel
in die Hand genommen und so nach und nach ihren eigenen Stil in der
abstrakten Acrylmalerei entwickelt.
„Er ist“, berichtet sie, „eng mit der
Natur verknüpft und entspringt einem meditativen, intuitiven Zustand. Ich
sehe die alles durchdringende, schöpferische Energie, die sich uns durch
die Natur begreiflich machen möchte. Man kann sie im Rauschen des
Wassers oder Flüstern des Windes hören. Oder man sieht sie in den
geometrischen Wuchsformen der materiellen Welt. Wenn ich male, bin ich
eins mit dieser Energie und bringe sie auf die Leinwand, damit sie für
andere fühlbar wird.“ Im Corona-Jahr 2020 war es endlich so weit. Anna
Werner erklärte sich zur „freiberuflichen Künstlerin“.
Anna Werners Bilder haben es in sich. Sie ziehen ihre Betrachter gleich
nach dem ersten Blickkontakt magisch an und lassen ihn nicht mehr los.
Sie sind voller Geheimnisse. Sie lenken den Blick nach innen, in das
Innere des eigenen Herzens, aber auch in den „Weltinnenraum“, in das,
was die Welt – so Goethe – im Innersten zusammenhält: den verborgenen
Bauplan der Schöpfung, der jedem Geschöpf, gleich welcher Natur, ob
Mensch, Tier oder Pflanze, ob Staub oder Stein, ob Erde oder Himmel,
seinen Platz im kosmischen Gefüge gibt.
Diese inneren Zusammenhänge
lassen sich nicht realistisch darstellen, sondern nur abstrakt, surreal oder
symbolistisch, in Form von Zeichen oder geometrischen Mustern.
Anna
Werner bezeichnet ihr künstlerisches Verfahren als „abstrakten
Pointillismus“. Dafür steht beispielhaft ihr lebhaft leuchtendes Meisterwerk
„Das Auge des Zyklopen“. Es ist nicht wie andere Arbeiten innerhalb von
Stunden oder Tagen entstanden, sondern über Monate hinweg.
Dank fortwährender
neuer Einfälle und Eingebungen ist eine Komposition aus
Tausenden von Farbtupfern und –punkten entstanden, die sich in
unendlicher Drehung umtanzen, zerfallen und wieder neu
zusammenfügen. Anna Werners Werke sind bewegte und bewegende
Bilder. Sie kann auf meisterhafte Weise Bewegung sichtbar und fühlbar
machen, die sich dem Betrachter mitteilt und sich auf ihn überträgt.
Ihr
intuitiver Malprozess bringt immer wieder überraschende Wendungen
hervor, er folgt keinem Schema und keiner Routine, sondern vollzieht sich
von Mal zu Mal neu und einzigartig. Ihre Schaffenskraft kommt aus der
Schatztruhe ihres Herzens und wurzelt in ihrer innigen Verbundenheit mit
der Natur und dem Kosmos.
„ Verbunden“ nennt sie mit gutem Grund eine
pointilistische Zusammenfügung, in der die Umrisse einer Landkarte,
Wassertropfen, in denen sich die Erdkugel zu spiegeln scheint, und
Traumbilder ineinander verfließen. Es geht der Künstlerin um „eine tiefere
Dimension des Daseins“, die sie in ihren Werken aufscheinen lassen
möchte, „eine Energie, die den Betrachter dazu animieren soll, seine
eigene Verbundenheit zu spüren“, seine Bindungen zu den eigenen
Wurzeln, zur Natur und zum Kosmos der allumfassenden Schöpfung.
Ihre
Lieblingsfarben sind zugleich symbolträchtig. Grün ist die Hoffnung, auch
im ökologischen Sinne, und Blau ist die Farbe des Himmels, des Meeres
und der blauen Blume der romantischen Phantasie.
Auf ihrem
wunderschönen Phantasiebild „Meeresgrund“ fügt sie ihren Grundfarben
noch einige Tupfer Gold hinzu, als Zeichen für den Glanz, der aus dem
Licht eines liebenden Herzens aufleuchtet. Auf dem
„Meeresgrund“ erkennt der Betrachter geometrische Strukturen, wie sie
auch bei Muscheln, Krebsen oder Schnecken zu finden sind. Solche
Muster sind in der Natur weit verbreitet. Sie werden „Fraktale“ genannt.
Sie finden sich im Allerkleinsten in der Zellstruktur unter dem Mikroskop
oder im Allergrößten wie der Anordnung der Planeten. Für Anna Werner
sind diese natürlichen Merkmale Zeichen dafür, dass die ganze Natur
selbst ein einziges wundersames Kunstwerk ist.
Natur und Kunst sind für
sie keine Gegensätze, sie ergänzen und durchdringen sich gegenseitig.
Die Natur ist ihre Lehrmeisterin – auch in ihrer Malweise. Ihre
Besonderheit ist das akribische, gleichsam der Natur abgeschaute
Ausarbeiten der Details. Ihre Verwendung winziger Punkte und Linien
erfordert sehr viel Ausdauer, Feinarbeit und Geduld. Ihre Hingabe und ihre
Detailversessenheit verleihen ihren Werken eine besondere Aura.
Ihre
Gemälde vereinen in sich höchste Sensibilität und äußerste Präzision. Sie
suchen in der Kunst der Gegenwart ihresgleichen.
Ihre eigenwilligen
Kompositionen sind allesamt eine Augenweide, sie öffnen schon durch
ihren bloßen Anblick mit der Fülle und mit der Frische ihrer Farben und
der üppig wuchernden Vielfalt ihrer abstrakten Figurationen die Augen
und das Herz und können dank ihrer zeichenhaften und universal
verständlichen Bildsprache Brücken zwischen den Menschen in
verschiedenen Kulturen und Kontinenten bauen.